Künstlerportraits

 

In dieser Serie werden wir Diverse Künstler*innen, einige sehr bekannt, andere weniger, kurz vorstellen und ausführlich diskutieren. Wir werden dabei bewusst hin und wieder sehr kontroverse Standpunkt einnehmen, die nicht immer unserer persönlichen Meinung entsprechen müssen. Vielmehr sind sie dazu da eine Diskussion in Gang zu setzen. Diese Diskussion soll eine Interaktion mit den Lesern*innen darstellen. Schreibt uns gerne eure Meinung zu den Texten in die Facebook Gruppe oder auf anderen Sozialen Medien. Ihr dürft, ja sollt sogar, uns auch per Mail euren Standpunkt erklären. Wir werden solche Meinungen, auf welchem Kanal sie auch immer zu uns gelangen, sammeln und immer mal wieder eine Episode dieser Serie daraus machen. Heute beginnen wir mit Steve McCurry und vergleichen  ihn mit James Nachtwey.

Habt Spass und seid lieb miteinander!

Steve McCurry – Lob und Kritik

Faszination McCurry

 

McCurrys Fotografien sprechen ein breites Publikum an. Sie sind technisch hervorragend gemacht. Das alleine ist allerdings nicht, was ihn von der Masse abhebt. Viel mehr sind es die Emotionen, die seine Bilder hervorrufen können. Sie elektrisieren und faszinieren den/die Betrachter*in genauso stark, wie sie schockieren oder traurig machen können. Seine Bilder wecken Interesse an den Geschichten dahinter und sind aussergewöhnlich vielfältig. Doch wie erreicht er das?

 

Steve McCurry neben einem Schamanen

 

Steve McCurry ist sehr viel gereist und hat mehr gesehen als die Meisten von uns. Schönes wie auch Schreckliches. Er lernte interessante, weniger interessante, freundliche und weniger freundliche Menschen kennen. Auch böse Menschen haben seinen Weg gekreuzt. Viele davon hat er fotografiert. Ich denke, darin liegt bereits ein grosser Teil der„Faszination McCurry“: Menschen. Seine Bilder handeln fast ausschliesslich von Menschen. In den meisten sind sie zu sehen. Und wenn keine Menschen zu sehen sind, geht es oft exakt um deren Abwesenheit. Und ich denke, wenig löst derart direkt Emotionen aus wie das Befinden oder die Lebenssituationen anderer Menschen.

Ich glaube, dass McCurry ein Meister der Kommunikation ist. Er schafft es mit einer Vielzahl an Personen in Kontakt zu kommen und ihr Vertrauen zu gewinnen.

Er ist nicht Zuschauer, er ist Teil seiner Bilder. Er geht nicht nur anschauen, was er fotografieren möchte. Er probiert, es zu erleben.

In Indien fuhr er lange selber mit der Eisenbahn durch das Land, bevor er mit dem Fotografieren begann. In Afghanistan lebte er längere Zeit unter sehr ähnlichen Verhältnissen wie die Mudschaheddin. Das ermöglicht es ihm, Situationen äusserst authentisch zu erleben und ein zu fangen, was einen grossen Reiz auf den/dieBetrachter*in der Fotografien ausübt. Er arbeitet zudem immer mit einer lokalen Person zusammen, wenn er eine Reportage verfasst. Das erleichtert die Kommunikation, und er erhält dadurch Zutritt zu Ereignissen und Anlässen, die man sonst nicht zu Gesicht bekommen würde. Ich glaube, es ist somit mitunter das Unbekannte, das den/die Betrachter*in in die Fotos hineinzieht und sie immer wieder studieren lässt.

Der frühe McCurry

McCurry erhielt sehr viel Anerkennung für den Mut und den Durchhaltewillen, den er immer wieder unter Beweis stellte. Er begab sich immer wieder in grosse Gefahr, wenn er Menschen portraitiert. Dies ist bei folgendem Bild klar erkennbar.

 

 

Hier fotografiert er eine Gruppe Mudschaheddin in Afghanistan im Jahr 1979. Sie beobachten gerade einen russischen Konvoi. In dieser Situation haben sie zu späterem Zeitpunkt das Feuer eröffnet.

Seinen Durchhaltewillen stellte er unter anderem bei seiner Reportage über die indische Eisenbahn unter Beweis. Hier fuhr er zuerst fast zwei Monate mit der Eisenbahn durch das Land und machte nichts anderes, als sich Orte auf zu schreiben, an die er zurückkehren möchte, um dort zu fotografieren. Ich meine, dass er durch diese Präzision und Ausdauer unglaubliche Momente festhalten konnte, die er ohne seine Vorarbeit vermutlich nie hätte einfangen können.

 

 

Steve McCurry versteht es zudem, wie nur sehr wenige, ein Bild zu konstruieren. Er lebt viele Regeln der Bildaufteilung zur Perfektion. Eine solche Konstruktion fällt nicht allen auf den ersten Blick auf. Bei bewussterem Hinschauen wird klar, weshalb seine Bilder so ausgeglichen wirken, oder weshalb sie den Blick so ins Bild hinein lenken.

Ich möchte einige Beispiele anfügen:

Er benutzt oft natürliche Linien, um den Betrachter durch das Bild zu führen. Er leitet den Blick an einen bestimmten Punkt und vereinfacht damit das Anschauen der Bilder. So kann er einen Fokus schaffen und hervorheben, was ihm in der Situation wichtig war. Im folgenden Beispiel führen alle Linien zum Kopf des Mannes, dem wichtigsten Element des Bildes.

 

 

Die meisten seiner Bilder sind von einer grossen Symmetrie geprägt. Symmetrie wirkt schön, ist angenehm zu betrachten. Das Kind ist exakt in der Mitte und die Lenkstange ist ebenfalls exakt geteilt.

 

 

Kritik

Steve McCurry ist trotz aller Auszeichnungen nicht vor Kritik gefeit. Im Gegenteil: Er ist ein sehr kontrovers diskutierter Fotograf und auch ich bin nicht restlos von ihm überzeugt. Er wird hauptsächlich für zwei Dinge kritisiert: Zum Einen steht er immer wieder unter Beschuss, weil er seine Bilder stark bearbeitet und teilweise sogar retuschiert hat. Andererseits gefällt Vielen nicht, wie ästhetisch er das Elend der Welt darstellt. Letzteres möchte ich an Hand von einem Vergleich mit James Nachtwey erläutern. Wer ihn nicht kennt sollte sich unbedingt sein Buch Inferno anschauen.

 

McCurry und Nachtwey

 

Ausserdem sind McCurrys Bilder relativ leicht zu verdauen. Vergleicht man sie mit denjenigen von James Nachtwey, ist schnell ersichtlich, weshalb McCurrys Bilder eher für die Massen geeignet sind.

 

James Nachtwey

 

McCurrys Bilder sind von einer beinahe unverschämten Schönheit, wenn man in Betracht zieht, welch schreckliche Ereignisse er teilweise fotografiert hat. Die „Beschönigung des Elends“ macht es dem/derBetrachter*in leicht, die Bilder zu verarbeiten. Nachtweys Bilder hingegen sind vor allem bei Leuten beliebt, die sich intensiver mit Fotografie auseinandersetzen. Sie geben den Schrecken, den er gesehen hat, brutal ehrlich wieder. Sie sind grafisch und technisch mindestens so gut wie die Bilder Steve McCurrys, lassen aber kein Auge trocken. Sie zeichnen sich durch keinerlei Beschönigung aus und zeigen Dinge, vor denen man normalerweise lieber die Augen verschliesst. Seine Bilder sind von einer grossen Dynamik geprägt. Nachtwey fotografiert meist deutlich spontaner als McCurry, was durchaus einen positiven Effekt auf das Bild haben kann. Folglich beachtet Nachtwey die statischen Regeln der Bildaufteilung weniger. Dadurch wirkt ein Foto vielleicht weniger schön, ist aber langfristig meisten spannender zu betrachten.

 

Eine von James Nachtweys Aufnahmen

 

McCurry und Bildbearbeitung

 

McCurry sagt zur Bildbearbeitung, dass er sich nicht als Journalist sondern als Künstler sehe. Als Künstler habe er die Freiheit, seine Bilder so zu bearbeiten, wie er möchte. Er dürfe sogar Objekte verschieben oder aus den Bildern entfernen. Dies dürfte er als Journalist nicht, da es dann seine Aufgabe wäre, über die Realität zu berichten.

Mit einem solchen Ruhm geht aber Verantwortung gegenüber den Betrachter*innen seiner Bilder einher. Wer sich nicht oder nur wenig mit seiner Arbeit auskennt, wird seine Bilder als wahrheitsgetreu ansehen. McCurry wird automatisch zu einer Art Journalist, ob er das möchte oder nicht. Seine Bilder erzählen Geschichten aus einer kaum bekannten Welt. Diese Informationen werden wenig hinterfragt.

 

Fazit

 

Meine Meinungen bezüglich der Bildbearbeitung McCurrys und seiner Beschönigung des Elends sind sich grundsätzlich ähnlich.

Einerseits steht es ihm natürlich frei, seine Bilder so zu gestalten wie es ihm gefällt und wie er sich den grössten Erfolg verspricht. Er ist, wie gesagt Künstler und darf seine künstlerische Freiheit natürlich nützen. Andererseits nützt er nicht nur seine künstlerische Freiheit, sondern nutzt auch die Menschen die er fotografiert aus. Er macht Fotos von schrecklichen Situationen und Zuständen, probiert aber kaum den Menschen zu helfen, die er fotografiert.

Erneut ist ein Vergleich mit James Nachtwey angebracht. Dieser begibt sich an Orte schlimmsten Elends. Er dokumentiert dieses, um darauf aufmerksam zu machen. Sein Ziel ist es, den Menschen, die dort leben, zu helfen. Nachtwey sagte einmal, er würde das ganze Elend gar nicht aushalten, wenn er die Fotos nur für sich selber machen würde. Da er aber versuche, den Betroffenen zu helfen, schöpfe er daraus Kraft und Mut. Dementsprechend ehrlich und schonungslos sind auch seine Fotos. McCurry hingegen interessiert sich deutlich weniger für die Menschen, die er fotografiert. Seine künstlerischen Interessen, sein Ruf und sein Erfolg sind ihm viel wichtiger. Seine Hilfestellung für Sherbat Gulas, dem Afghanischen Mädchen, beispielsweise, war äusserst plakativ. Wie auch in anderen Situationen ging es ihm wenig darum, Sherbat Gulas in ihrer Situation zu helfen. Vielmehr konnte McCurry so zeigen, was für ein führsorglicher Mensch er sei.

Er handelt überwiegend aus eigenem Interesse, was sich auch in seinen Bildern niederschlägt. Steve McCurry ist ein grossartiger Fotograf. Aber er ist auch ein Egozentriker und ein Selbstdarsteller.

 

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