Braucht Kunst Wahnsinn?

Alice Bayer, 05.08.2020

Wahnsinn und Genie sind nah beieinander. Das Klischee des verrückten Künstlers ist fest in unseren Köpfen verankert. Die Annahme, dass zwischen Kreativität und psychischer Krankheit ein Zusammenhang besteht geht bis in die Antike zurück, doch die Idee hat sich gehalten bis in die heutige Zeit. Deshalb stellt sich die Frage, ob man ein bisschen verrückt sein muss, um kreativ zu sein?

Historische Paradebeispiele für den Typus verrückter Künstler sind Van Gogh, der sich im Wahn ein Ohr abschnitt oder ein Beispiel aus der Musik, Komponist Robert Schumann, der heute vermutlich mit einer bipolaren Störung diagnostiziert würde. Geht Kreativität mit Wahnsinn einher? Muss das menschliche Gehirn in einem gewissen Bewusstseinszustand sein, um Kunst zu machen? Hat diese angenommene Wechselwirkung zwischen Wahn und Genie seine Berechtigung und wie beeinflusst dies, einerseits die Kunst und andererseits die Psychiatrie? Diese Fragen beschäftigen mich in dieser Theoriearbeit.

 

Depressionen und Suchtmittelmissbrauch sind in der Kunst omnipräsent.

Art Brut

 

Im Kontext der Kunstgeschichte gibt es ganze Strömungen, die psychisch kranke Kunst zu kategorisieren versuchen. «Art brut» ist ein Begriff dafür, «rohe Kunst» zu deutsch. Der Begriff wurde gemäss Definition der Tate Art Gallery vom französischen Künstler Jean Dubuffet erfunden und beschreibt Kunst, die nicht im akademischen Kontext entstanden ist. Diese Art von Kunst wird auch als «Aussenseiterkunst» kategorisiert und beschreibt sogenannte primitive Kunst. Das umfasst beispielsweise Graffiti, Kunst von psychisch Kranken, Gefängnisinsassen oder Kindern.

In Zeiten, in denen das Thema Mental Health und Awareness in aller Munde ist, möchte ich die Aufmerksamkeit auf ein Thema richten, das weniger präsent ist aber mindestens ebenso relevant: «psychische Krankheit» und die Kunst als Mittel zur Selbstheilung.

 

Eine Begabung

 

Psychische Abnormitäten und Verhaltensauffälligkeit werden im Allgemeinen eher negativ konnotiert und Auffälligkeiten in Verhalten und emotionalem Zustand sind gesellschaftlich stark stigmatisiert. Personen mit psychischen Krankheiten werden oftmals als schädlich für unsere Gesellschaft angesehen und als Bedrohung für unser funktionierendes System. Zugleich existiert jedoch die Ansicht, dass genau solche Personen über eine ausserordentliche Begabung verfügen, die gefördert werden sollte. Historische Beispiele untermauern diese Ansicht und sind oft auch dafür verantwortlich, dass nach wie vor eine gewisse Labilität von Personen im Kreativen Zweig fast schon erwartet wird.

Bei gewissen Künstlern aus der Geschichte zeichnet sich ein Persönlichkeitsprofil ab, das nach heutigen Standards wahrscheinlich als pathologisch beurteilt würde. Ihre Lebensgeschichten und teils tragischen Tode lassen darauf schliessen, dass sie viel seelisches Leid zu ertragen hatten, das sie durch ihre Kunst offenbarten.

Personen, die verhaltensauffällig sind und sich weniger gut in unsere Gesellschaft integrieren, lassen sich weniger beschränken von geltenden Regeln und sind deshalb kreativer. Solche Eigenschaften sind gefragt, wenn es um die Erschaffung von ehrlichen Kunstwerken geht. Diese Art von Verhalten wird oft von unserer Gesellschaft bereits als psychisch krank angesehen.

 

Empirie

 

Verschiedene Studien zu dem Thema zeigen unterschiedliche Ergebnisse. Eine besonders interessante, schwedische Studie vom Stockholmer Karolinska Institut ermittelte bei 300‘000 psychisch Kranken, ob sie verstärkt kreativen Berufen, künstlerischen oder wissenschaftlichen nachgingen. Es zeigte sich keine allgemeine Korrelation zwischen psychischer Krankheit und Kreativität. Aber bei gewissen Krankheitsbildern wie zum Beispiel Patienten mit bipolarer Störung zeigte sich, dass sie überdurchschnittlich häufig als Künstler oder Wissenschaftler tätig waren.

 

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